DIE BERLINER EINHEITSSCHULE
Das Berliner Schulgesetz ist nach langem geistigen Ringen aller fortschrittlichen Kräfte unserer Heimat Wirklichkeit geworden.
Dieses Einheitsschulgesetz ist eine revolutionäre Tat. Die Durchführung des Gesetzes ist Voraussetzung für die geistige und weltanschauliche Erneuerung unseres Volkes. Jeder Pädagoge und Erzieher muß sich innerlich verpflichtet fühlen, den hohen Gedanken der sozialen Gerechtigkeit und demokratischen Freiheit zu verwirklichen.
Soziale Gerechtigkeit! Schulgeld-, Lernmittelfreiheit und Erziehungsbeihilfen beseitigen die Bildungsvorrechte der Vergangenheit. Kein Almosen! Schulgeldfreiheit ist allgemeines Recht. Jeder Schüler hat gesetzlichen Anspruch auf Förderung. Eignung und Bildungswille allein entscheiden. Alle Kinder und Jugendlichen besuchen e i n e Schule, die Einheitsschule. Kein Nebeneinander der verschiedenen Schularten als Ausdruck der verschiedenen Volksschichten. Lehrer und Eltern vereinigen sich zu erzieherischer Lebenshilfe an der Jugend. Schülerselbstverwaltung, Elternausschüsse, gemeinsame Erziehung beider Geschlechter sind charakteristische Merkmale der neuen Schulgemeinschaft.
Sie nimmt das Kind nach dem freiwilligen Besuch des Kindergartens mit 6 Jahren auf und entläßt den Jugendlichen mit 18 Jahren in das Berufsleben oder in das Fach- und Hochschulstudium. Die Entwicklung aller Anlagen und Fähigkeiten der Schüler ist gewährleistet durch den vierjährigen „praktischen Zweig“ (Berufsfindungsjahr, dann Berufsschule oder Berufsfachschule) und den ebenfalls vierjährigen „wissenschaftlichen Zweig“ (früher höhere Schule). Beide Zweige bilden die Oberstufe, die sich nach dem 8. Schuljahr auf der Grundstufe aufbaut. Der praktische Zweig steht gleichwertig neben dem wissenschaftlichen, die wissenschaftliche Begabung in gleicher Wertgeltung neben der praktischen. Die neue Einheitsschule wird das Bildungsniveau nicht senken, sondern heben; im praktischen Zweig
- durch die Verwirklichung des Gedankens der Berufsfindung im 9. Schuljahr,
- durch die Erweiterung des Berufsschulunterrichtes auf mindestens 12 Wochenstunden,
- durch weiteren Ausbau der wahlfreien Lehrgänge, der Aufbaukurse und der Berufsfachschule,
- durch die Betonung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer und den Werkunterricht in Kursen,
- durch Einrichtung einer ganzwöchigen Schule für arbeitsloseJugendliche;
im wissenschaftlichen Zweig
- durch eine zuverlässige Auslese für die geistigen Berufe – Erprobung der Eignung in Kern- und Kursfächern vom 7.
Schuljahr an –, - durch eine weitgehende Aufgliederung des Lehrgutes im 9. bis 12. Schuljahr (elastische Ausgestaltung der Oberstufe).
Der Bildungsweg über den praktischen Zweig führt zur Fachschule und auch zur Hochschule.
Der Religionsunterricht ist im Interesse der religiösen Erziehung der Kirche vorbehalten. Die Geschlossenheit der neuen Schule würde durch Aufspaltung in Konfessionsschulen gestört werden. Erziehung zur Toleranz muß das Bestreben jedes Lehrers sein. Die Erteilung des Religionsunterrichtes seitens der Kirchengemeinschaften erleichtert das Gesetz durch entsprechende organisatorische Maßnahmen. Die Erziehung unserer Jugend in der Einheitsschule ist die Voraussetzung für die Neugestaltung des deutschen Gemeinschaftslebens und für die Verständigung mit anderen Völkern. Ein Jahrhundert lang hat die fortschrittliche Lehrerschaft um die Einheitsschule gekämpft, Berlin stand stets im schulpolitischen Kampf in vorderster Linie.
Es liegt bei den Lehrern, Eltern und Schülern Berlins, die Idee der Einheitsschule in die Tat umzusetzen.
HAUPTSCHULAMT VON GROSS-BERLIN
(Die Präambel des Berliner Schulgesetzes von 1948)